Für ausgiebige Feierlichkeiten hatte Geburtstagskind Dennis Schröder am Tag vor dem größten Basketball-Spiel seiner Karriere keine Zeit. Dem Kapitän und seinem Team bietet sich nach dem Aus der Superstars Luka Doncic, Giannis Antetokounmpo und Nikola Jokic eine einmalige Chance, die begeisternden Tage der Heim-EM mit dem Titel in Berlin zu krönen.
«Wir haben erwartet, soweit zu kommen, aber unsere Mission ist noch nicht beendet», sagte Bundestrainer Gordon Herbert vor dem mit Spannung erwarteten Halbfinale gegen Weltmeister Spanien am Freitag (20.30 Uhr/RTL und Magentasport).
Herbert stehen alle Spieler zur Verfügung
Am Tag vor dem Klassiker gegen den dreimaligen Europameister herrschte bei den Deutschen eine gelöste Stimmung. Herbert hatte im Training in der Max-Schmeling-Halle alle zwölf Spieler zur Verfügung, auch die zuletzt angeschlagenen Franz Wagner, Johannes Voigtmann und Nick Weiler-Babb waren dabei. Gegen Ende der Einheit schnappte sich Schröder kurzzeitig sein Handy, um an seinem 29. Geburtstag für laute Musik aus der großen Box zu sorgen. Danach unterhielt sich der Point Guard eine Weile mit Herbert und machte dabei weiter munter ein paar Dreipunktewürfe. Von Nervosität vor dem großen Spiel war bei den Deutschen nicht viel zu spüren.
Dabei ist der Hype um die Partie für Basketball-Verhältnisse groß. Mehr als zwei Millionen Zuschauer im Free-TV, volle und laute Hallen sowie ein ungeahnter Boom: Basketball-Deutschland befindet sich vor dem größten Spiel seit 17 Jahren in einer Art Ausnahmezustand. Und Schröder und Co. sind mittendrin.
Die Bedeutung der Partie ist den Spielern durchaus bewusst. «Wir wussten, dass es ein langer Weg ist, aber der Weg ist noch nicht vorbei. Jetzt spielen wir um eine Medaille», sagte Voigtmann am Donnerstag im Teamhotel am Lützowufer. «Es ist auf jeden Fall eines der wichtigsten Spiele in meiner Karriere», sagte Wagner. «In der NBA durfte ich noch nicht so viele wichtige Spiele mitmachen. Deutschland bei der EM im eigenen Land, in seiner Stadt in einem Halbfinale zu vertreten, das ist schon etwas Besonderes», sagte der gebürtige Berliner, der mit den Orlando Magic in der vergangenen NBA-Saison die zweitschlechteste Bilanz aller Teams hatte.
Anders als bei Silber 2005 in Serbien wird das Nationalteam diesmal nicht von Dirk Nowitzki als Alleinunterhalter getragen, sondern von einem von Schröder angeführten Kollektiv, das sich über Teamgeist und starke Verteidigung definiert. «Wir haben so viel Tiefe und so viel Qualität, das ist unfassbar», sagte Schröder nach dem imposanten 107:96-Viertelfinal-Sieg über Griechenland und Antetokounmpo, der wie Doncic mit Titelverteidiger Slowenien und Nikola Jokic mit den hoch favorisierten Serben ohne Medaille heimreisen muss.
«Vor der EM war eine Medaille das Ziel»
Damit scheint für Deutschland der Weg frei zum zweiten EM-Titel nach 1993. Spanien und Frankreich sind nicht mehr so überragend besetzt wie zu Zeiten von Pau Gasol oder Tony Parker, Slowenien-Bezwinger Polen bleibt trotz der spektakulären Überraschung ein krasser Außenseiter. «Vor der EM war eine Medaille das Ziel. Natürlich wollen wir jetzt Gold», sagte Center Daniel Theis. Medaillenlos aus dem Wochenende zu gehen, wäre angesichts der derzeitigen Euphorie und des übrigen Teilnehmerfeldes nun schon eine Enttäuschung.
Das EM-Duell mit den zuletzt stark umgebauten Spaniern hat nach den Begegnungen 2001, 2005, 2015 und 2017 Tradition. «Spanien hat eine unglaubliche Basketball-Kultur. Sie spielen guten Basketball. Es ist ein Halbfinale, es wird natürlich ein toughes Spiel», sagte Johannes Thiemann von Alba Berlin, der die 14.000 erwarteten Fans in der Arena am Ostbahnhof als großen Faktor sieht. «Samstag war es träge, aber Berlin hat gezeigt, dass es auch anders geht. Das gibt uns unglaublich viel Energie. Im Halbfinale bitte genauso», forderte Thiemann.
Der deutsche Erfolg hat viele Gesichter, auch wenn er maßgeblich von einem Kollektiv getragen wird. Der in der NBA noch immer vereinslose Aufbauspieler Schröder wirkt wie verwandelt und steigert sich sportlich von Spiel zu Spiel. NBA-Jungstar Franz Wagner ist schon jetzt die Entdeckung des Turniers, dahinter füllen auch Rollenspieler wie Theis, Andreas Obst und Co-Kapitän Johannes Voigtmann ihre Aufgaben ideal aus. «Das ganze Team ist ready», sagte Schröder.
EM-Euphorie soll Basketball-Begeisterung wecken
Der Kapitän hofft auf weniger Dramatik als im packenden Halbfinale 2005, als Nowitzki gegen Spanien erst wenige Sekunden vor Schluss den Siegeswurf für den Einzug ins Endspiel verwandelt hatte. «Hoffen wir, dass es nicht so eng wird. Hoffen wir, dass wir durchkommen. Wir haben keinen Dirk, der den letzten so macht.» Dafür ein Team, das auch ohne prominente Ausfälle wie Maxi Kleber oder Moritz Wagner extrem widerstandsfähig ist und begeisternd auftritt.
Über allem steht die große Hoffnung, mit dem EM-Lauf nachhaltige Begeisterung auszulösen. «Es war der Plan, dass wir Basketball wieder auf die Landkarte bringen. Wir haben versucht, Basketball durch unser Spiel populärer in Deutschland zu machen», sagte Center Thiemann. Auch Publikumsliebling Franz Wagner von den Orlando Magic hofft, dass künftig viele seinem Beispiel nacheifern. «Hoffentlich kann man den Ball ins Rollen bringen, dass mehr Kinder Basketball spielen wollen», sagte Wagner. Die größte Bühne für Werbung gibt es am Freitagabend.