Er hört inzwischen «Die Ärzte», mag Schnitzel und findet «das traditionelle deutsche Sonntag-Familienfrühstück sehr geil.» Es ist schon ziemlich vieles deutsch an Joseph «Joe» Bestwick.
Und einen deutschen Lieblingssatz hat der gebürtige Engländer auch: «Es gibt kein schlechtes Wetter. Es gibt nur die falschen Klamotten.» Denn früher war er noch ganz Engländer. «Und bei jedem Wetter mit T-Shirt und kurzer Hose unterwegs. Heute trage ich Outdoor-Jacken.»
Mit Großbritannien gewann Bestwick 2008 die Bronzemedaille bei den Paralympics. Nun trifft er in seinem ersten Turnier als deutscher Rollstuhlbasketball-Nationalspieler am Freitagmorgen ausgerechnet auf England. In einer emotionalen Zwickmühle befindet er sich allerdings nach eigener Aussage nicht. «Zu dem Verband als Idee habe ich keine Verbindung», sagt er: «Und ich war mit den wenigsten, die heute dabei sind, zusammen im Kader. Großbritannien bedeutet für mich Familie, Schulfreunde, meine Jungs. Am Freitag spiele ich einfach gegen ein paar Freunde. Aber das tue ich auch gegen Australien oder die USA. Rollstuhlbasketball ist eine kleine Welt.»
Familienentscheidung
Umgekehrt habe er die doppelte Staatsbürgerschaft nicht mit dem Hintergedanken einer Nominierung für Deutschland beantragt. «Ich habe mich nach dem Brexit dafür entschieden», sagt er: «Es war danach komplizierter, in Deutschland zu arbeiten. Vor allem aber war es eine Familienentscheidung. Damit meine Kinder später andere Möglichkeiten haben.» Ob er ohne Brexit schon den deutschen Pass hätte? Bestwick überlegt. «Es wäre sicher irgendwann ein Thema geworden», sagt der 36-Jährige: «Aber wahrscheinlich noch nicht so schnell.»
Als schöne Nebenwirkung spielt er nun seine zweiten Paralympics. In einem anderen Trikot. Auf seltsame Weise schließt sich ein Kreis. «Damals bin ich mit aufgerissenen Augen rumgelaufen, war irgendwie überfordert», sagt er: «Inzwischen bin ich ruhiger geworden, professioneller.» Dennoch kommen ihm Bilder von seinem 23-jährigen Ich vor wie aus einer anderen Zeit. «Wenn ich Bilder aus Peking sehe, frage ich mich: In was für einem Stuhl habe ich damals gesessen?»
Damals hatte er noch beide Beine. Das rechte wurde ihm erst 2010 in England amputiert. «Ich war nicht für die WM nominiert und hatte Zeit», sagt er. Aber es war nötig. «Ich hatte einen Klumpfuß und immer mehr Rückenprobleme. Ich musste mich entscheiden zwischen einer Amputation und einem Alltagsrollstuhl. Und ich habe es nie bereut.»
Profi in Köln
Während der Paralympics 2008 spielte er schon in Deutschland, für die Köln99ers. Dahin vermittelte ihn 2007 sein australischer Trainer, weil er Profi sein müsse, um weiterzukommen. Kurz vor seiner Rückkehr nach zwei Jahren in die Heimat lernte er seine heutige Frau kennen, eine Kölnerin. Sie begleitete ihn nach England. «Als sie sich nach drei Jahren gerade eingelebt hatte, hab ich gesagt: Tut mir leid, ich habe ein Angebot aus Deutschland, von der RSV Lahn-Dill. Das ist die größte Mannschaft in Deutschland, das muss ich annehmen.»
Das Team aus Wetzlar war damals Weltpokalsieger. Nach neun Titeln inklusive einem Champions Cup wechselte Bestwick 2017 zu Hannover United, im Sommer kehrte er nach Köln zurück. «Inzwischen bin ich mehr deutsch als englisch», sagt er. Englisch sei weiter sein Erscheinungsbild. «Typen mit langen Haaren, Tattoos und Bart gibt es in Deutschland nicht so viele», sagt er. Gewöhnen musste er sich aber daran, «Dinge auf Deutsch etwas freundlicher zu formulieren.»
Bestwick bringe «unheimlich viel Intensität ins Spiel», sagte Bundestrainer Nicolai Zeltinger: «Er hat einen verdammt starken Post-up Wurf. Ich bin sicher, dass wird er gegen Großbritannien zeigen.»