Nach dem packenden Krimi von Manila hatten die erleichterten Basketballer keinen Kopf für die ultimative WM-Prüfung – und wenige Stunden später das Olympia-Ticket für Paris. «Deutschland ist im Halbfinale, alles andere juckt mich gar nicht. Ich bin sehr, sehr glücklich. Ich freue mich, gleich in die Kabine zu gehen und zu lachen», sagte Moritz Wagner nach dem dramatischen 81:79 im Viertelfinale über Lettland.
Die mögliche erste WM-Medaille seit 2002, die aufregende Ringe-Reise nach Paris, das Gipfeltreffen mit der dominanten Basketball-Großmacht USA? Für Wagner zunächst alles nebensächlich.
«Deutschland ist im Halbfinale der WM und alles andere ist mir so scheißegal, Digga», sagte der 26-Jährige auf weitere Nachfragen. Doch am Nachmittag wurde es noch besser: Weil Kanada die Slowenen später mit 100:89 besiegte, ist die Qualifikation für die Olympischen Spiele für Deutschland vorzeitig perfekt. «Das ist natürlich nicht selbstverständlich, dass man es zu Olympia schafft. Für den deutschen Basketball geht es immer weiter nach oben», sagte Isaac Bonga.
Rückkehrer Wagner als Matchwinner
Das Zitterspiel, bei dem Rückkehrer Franz Wagner zum gefeierten Matchwinner wurde, hätte das deutsche Team von Chefcoach Gordon Herbert zuvor beinahe alle Medaillenträume gekostet. Und zum ganz großen Verlierer wäre in diesem Fall der bisher so überragende Kapitän geworden: Dennis Schröder traf an einem komplett gebrauchten Tag nur vier seiner 26 Würfe und leistete sich auch in der umkämpften Schlussphase mehrere Fehler.
«Das war wahrscheinlich das schlechteste Spiel, das ich je gespielt habe», gestand Schröder ein. Ungläubig schüttelte er noch auf dem Parkett den Kopf, in den Katakomben konnte er beim dichten Gedränge vor weit über 100 Journalisten schon wieder lächeln. Diesmal trug nicht der 29 Jahre alte Schröder das Team wie in der Vor- und Zwischenrunde in Okinawa – sondern das Team ihn. «Er hatte einen echt harten Tag. Aber ich habe keinen Zweifel, dass er zurückschlägt», sagte Bundestrainer Herbert.
Die Chance dazu hat er direkt am Freitag (14.40 Uhr/Magentasport) auf der größtmöglichen Bühne: im WM-Halbfinale gegen Olympiasieger USA. 21 Jahre nach Bronze in den USA könnten Schröder und Co. dann die zweite Medaille in der deutschen WM-Geschichte klarmachen und erstmals in ein WM-Finale einziehen. «Am Ende sind wir happy. So ein Spiel muss man gewinnen, das gehört dazu in so einem Turnier», sagte Daniel Theis nach dem Krimi, bei dem ein Dreier von Davis Bertans in letzter Sekunde beinahe alles auf den Kopf gestellt hätte. «Ich habe gebetet», sagte Johannes Thiemann über die verrückte Schlusssequenz. Der Wurf von Bertans landete auf dem Ring, Deutschland gewann.
Lob für die Bankspieler
«Dennis ist menschlich, er hatte ein schweres Spiel. Unsere zweite Einheit hat uns heute getragen und das Spiel gedreht», sagte Herbert über seinen Kapitän. Umso wichtiger war es, den eineinhalb Wochen mit Knöchelproblemen kämpfenden Franz Wagner zum ersten K.o.-Spiel zurückzubekommen. Wagner erzielte 16 Punkte und spielte vor allem im Schlussviertel eine wichtige Rolle.
«Franz ist unglaublich. Der ist 22 Jahre alt, war verletzt und kommt zurück und macht dann so ein Spiel. Er hat so viel Talent», sagte Thiemann, der selbst wieder zu einem wichtigen Akteur von der Bank wurde. Auch Schröder war voll des Lobes für Talent Wagner, der von Experten schon mit dem jungen Dirk Nowitzki verglichen wird. «Alle haben mich getragen und sehr geil gespielt. Dass Franz wieder zurück ist, war natürlich sehr, sehr wichtig. Deshalb ist er auch MVP des Spiels geworden», sagte Schröder über Wagner, der die Trophäe für den wertvollsten Spieler der Begegnung erhielt.
«Euphorie und Schock»
In der Kabine sei die Atmosphäre nach dem großen Sieg speziell gewesen. «Es war eine Mischung aus Euphorie und Schock. Das war wirklich ein Schockmoment», beschrieb Thiemann. Statt wertloser Platzierungsrunde und vorzeitig verpasstem Direktticket für Olympia in Paris heißt es nun: Halbfinale gegen das weltbeste Team, das man beim 91:99 in Abu Dhabi vor knapp drei Wochen schon mächtig geärgert hatte.
Deutschland tritt mit makelloser WM-Bilanz an, das Herbert-Team ist als einziger der 32 Teilnehmer noch ungeschlagen. Jungstar Franz Wagner kann das Treffen mit seinen NBA-Kollegen um Paolo Banchero kaum erwarten: «Ich freue mich riesig drauf.» Dem emotional angekratzten Bundestrainer war diese Vorfreude so kurz nach Spielschluss noch nicht anzumerken. Als er gefragt wurde, was sein Team bis zum USA-Spiel verbessern müsse, überlegte Herbert lange und fragte dann: «Wo soll ich anfangen?» Eine Leistung wie gegen Lettland werde für die USA nicht reichen.